Würdige Rückkehr eines grandiosen Ermittlers
**1) ** **Inhalt**
Dr. Watson, Sherlock Holmes’
ständiger Begleiter, lebt am Ende des 19. Jahrhunderts relativ verarmt
und einigermaßen vereinsamt, was unter anderem mit seinem schlechten
Gesundheitszustand zusammenhängt. Sein guter Freund Sherlock Holmes ist
schon vor langem gestorben, und so erinnert sich Watson wehmütig ein
letztes Mal zurück an einen ihrer abstoßensten Fälle.
Die
Handlung zieht sich über mehrere Monate des Jahres 1890 – Watson besucht
Holmes in London, weil seine Frau verreist ist, und wird justament in
den nächsten Fall geschleudert: Ein elegant gekleideter Londoner – Mr.
Carstairs, ein Kunsthändler – sucht Holmes auf, um ihn um Hilfe zu
bitten. Gerade erst aus Amerika zurückgekehrt, befürchtet er aufgrund
dortiger und hiesiger Vorkommnisse, dass er beobachtet wird und in
Lebensgefahr schwebt. Holmes steigt in die Ermittlungen ein – und Watson
natürlich mit ihm.
Was anfangs als völlig klarer Fall erscheint,
dessen Lösung schon auf S. 81 zu finden gewesen wäre, entpuppt sich
nach und nach als überaus verschachtelte Angelegenheit, im Zuge derer
Holmes selbst in Lebensgefahr gerät, des Mordes bezichtigt und letzten
Endes sogar angeklagt wird. Alles nur, weil er nach dem mysteriösen
„House of Silk“ sucht, dessen dubiose Existenz durch ein weißes
Seidenband bewiesen wird, das am Handgelenk eines ermordeten
Straßenkindes gefunden wird. Holmes selbst erhält wenig später ein
ebensolches Band als Warnung, die er trotz der eindringlichen Bitte
seines Bruders Mycroft in den Wind schlägt.
Wie aber hängen all
diese seltsamen Ereignisse und Ermittlungsansätze zusammen? Es gibt nur
eine einzige mögliche Verbindung: das House of Silk. Was aber hat es
damit auf sich? Wird Holmes die Zusammenhänge aufdecken können?
**2) ** **Analyse**
Es
ist offensichtlich, dass Anthony Horowitz in der Vorbereitung seines
Werk sehr genau recherchiert hat, wie das Leben in London zu dieser Zeit
gewesen sein muss. Auch geht aus seinem stilistischen Geschick
eindeutig hervor, dass er sich in der Sherlock Holmes-Literatur des Sir
Arthur Conan Doyle umfassend auskennt. So ist es auch nicht
verwunderlich, dass er den Ton des Dr. Watson durchgehend überaus
gekonnt trifft und es den LeserInnen so ermöglicht, sich tatsächlich
voll und ganz in das Umfeld der Protagonisten einzufühlen.
**3) ** **Kritik**
Über
die Übersetzung des Buches gibt es Positives und Negatives zu sagen.
Einerseits ist es bemerkenswert, wie präzise auch der Übersetzer den
Ton von Dr. Watson von Anfang an trifft. Es ist offensichtlich, dass
sich auch dieser umfangreich in die Materie eingearbeitet hat.
Andererseits ist der Roman von zahlreichen Rechtschreib- und
Grammatikfehlern durchzogen, beispielsweise:
_Der Diogenes Club war eine der kleineren Clubs an der Pall Mall. (S. 146)_
_ Das alles war zügig vonstattengegangen. (S. 189)_
Diese
Tatsache stellt allerdings den einzigen Mangel des ansonsten sehr
ansprechenden Werks dar. Abgesehen davon bemüht sich der Autor das eine
oder andere Mal um eine amüsante Darstellung und Wortwahl, was das
gesamte Werkt deutlich auflockert:
_Ich hatte die
Antwort zu einer Frage erhalten, die Holmes mir vor Wochen gestellt
hatte. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, warum sie ihn
interessierte. (S. 222)_
Weiters ist zu sagen, dass der
Titel für die deutsche Fassung zwar akzeptabel gewählt worden ist, eine
Annäherung an das englische Original („The House of Silk“) käme dem
Inhalt allerdings dennoch näher, da auch in der deutschen Übersetzung
weniger das weiße Band eine Rolle spielt als das House of Silk selbst.
Interessant
war für mich persönlich, endlich mehr Hintergründe zu Holmes’ Familie
zu erfahren. Das macht den Roman familiärer und zeigt außerdem das große
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Holmes und Watson, der sich selbst
ohne Holmes als unvollständigen Menschen erkennt, sehr deutlich. Dadurch
werden die Protagonisten noch menschlicher, als sie der Autor ohnehin
schon zeichnet, und erlauben es, dass man sich mit ihnen besonders
identifiziert.
Außerdem ist es durchgängig beeindruckend
anzusehen, welche verstrickten Kriminalgeschichten Horowitz hier
erfindet und einbaut. Das beweist seine große schriftstellerische
Fähigkeit besonders, handelt es sich doch um originelle Ideen, hinter
die der laienhafte Leser nicht so schnell kommt.
**4) ** **Empfehlung**
Wer
den Beweis haben möchte, dass nicht nur Sir Arthur Conan Doyle über ein
unglaubliches schriftstellerisches Talent verfügt hat, ist bei diesem
Buch genau richtig. Man kann sich von Anfang an in die Zeit und die
Personen hineinversetzen und findet sich haargenau in Doyles London
wieder. Sherlock Holmes ist nach wie vor brillant – ob seine
Geschichten nun vom Original oder seinem eifrigsten Kenner verfasst
werden!
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