Wer ist die Leiche ohne Kopf?
**1) ** **Inhalt**
Als der kopflose Oberkörper
eines Toten aus Manhattans East River gezogen wird, sieht alles ganz
danach aus, als handle es sich um einen makabren Scherz von
Medizinstudenten – nichts Ungewöhnliches im Amerika des 19.
Jahrhunderts! Kurz darauf jedoch taucht der Unterkörper auf – ebenso
fachmännisch verpackt, für Medizinstudenten jedoch zu laienhaft
abgetrennt. Die beunruhigende Erkenntnis: Mord! Doch wie soll ohne Kopf
geklärt werden, um wen es sich bei dem Opfer handelt?
In
einer Zeit, als die großen amerikanischen Zeitungen gerade im vollen
Entwicklungsaufschwung sind, bietet sich eine solche Geschichte mehr als
an, um sich einen Namen zu machen und sich in der Geschichte zu
verewigen. Es beginnt also ein Wettlauf unter der New York World, der
New York Tribune und des New York Journals um die beste
Berichterstattung über den Fall. Ganz nebenbei sind es dadurch gerade
die Zeitungen, die die Ermittlungen vorantreiben – um der besten
Berichte willen schicken sie selbst „Ermittler“ aus, die Nachforschungen
anstellen und das eine oder andere Puzzleteil auflösen können.
Unterdessen
versucht die Polizei einerseits, die Leiche zu identifizieren – dieses
Unterfangen stellt sich als sehr schwierig heraus, da unterschiedlichste
Menschen die Teile unterschiedlichsten Personen zuordnen. Auf der
anderen Seite wird fieberhaft nach dem Kopf gesucht, der an einer
Identifizierung letztlich keine Zweifel mehr lassen würde. Gleiches
machen die Zeitungen und finden so heraus, dass es sich bei dem Opfer
höchstwahrscheinlich um William Guldensuppe, einem Masseur handelt.
Schnell
sind dessen Lebensumstände geklärt und zwei Verdächtige festgenommen:
Mrs. Nack, seine Geliebte, und Martin Thorne, der derzeitige Geliebte
von Mrs. Nack. Doch wieder verlaufen die Ermittlungen im Sand:
Guldensuppe sei von verschiedenen Personen bis hin nach Europa lebend
gesehen worden! Zudem streiten beide Festgenommene ab, dass es einen
Mord gegeben hat. Lebt Guldensuppe also noch? Wer liegt dann zerteilt im
Leichenschauhaus?
**2) ** **Analyse**
Besonders
faszinierend an dem Roman ist die Tatsache, dass es sich um eine reale
Geschichte handelt – tatsächlich ist der „Fall Guldensuppe“ im New York
des 19. Jahrhunderts wochen- und monatelang in den Zeitungen präsent
gewesen und die Ermittlungen haben sich genauso abgespielt, wie sie in
Paul Collins Roman dargestellt werden. Dabei ist das Werk nicht nur gut
recherchiert, sondern grundlegend auf den Quellen – historischen
Zeitungen – aufgebaut. Am Ende des Buches fügt Collins in über 50 Seiten
akribisch an, woher er sämtliche seiner Informationen bezogen hat.
Gerade
dieser Umstand ist es, der das Buch überaus lebensnah macht und es den
LeserInnen ermöglicht, sich tatsächlich in die Begebenheiten der Zeit
hineinzuversetzen. Die Zeit des wirtschaftlichen und technischen
Aufschwungs wird besonders anschaulich geschildert, wenn am Ende des
Werks festgestellt wird, dass sich die Stadt New York gerade in den
letzten Jahren um vieles weiterentwickelt hat – während noch vor ein
paar Jahren Pferdekutschen das Straßenbild prägten, sind es nun
Automobile, die sich ihren Weg durch den Verkehr bahnen.
Spannend
ist zudem die Schilderung der Entwicklung der großen Zeitungen. Durch
Collins’ umfangreiche Einarbeitung in das Thema werden Einblicke in die
Berichterstattung der Zeit und die Modernisierung der Druckeranlagen
geboten, durch die man ein gutes Bild von der Medienwelt des 19.
Jahrhunderts erhält und sozusagen live mitverfolgen kann, wie aus
kleinen und unbedeutenden Zeitungen Institute mit gewaltiger Macht
geworden sind.
**3) ** **Kritik**
Spannung
wird weniger dadurch aufgebaut, dass man wissen möchte, wer der Mörder
ist – Mrs. Nack und Martin Thorne werden schon im ersten Drittel des
Romans verhaftet. Interessant ist hingegen einerseits die Schilderung
des sich verändernden Zeitungswesens, andererseits bis zuletzt die
Frage, ob es sich bei dem Mordopfer überhaupt tatsächlich um William
Guldensuppe handelt. Aufmerksamkeit bei LeserInnen wird also die ganze
Zeit über durch den fehlenden Kopf der Leiche erreicht, was weniger eine
sprachliche, als eine quellendarstellungsgemäße Leistung ist.
Das
Cover ist außerordentlich ansehnlich gestaltet, allerdings sollte man
erst nach der Lektüre des Buchs einen genaueren Blick darauf werfen –
durch die Gestaltung mit originalen Zeitungsausschnitten der
zeitgeschichtlichen Berichterstattung werden ansonsten einige
Informationen über die weitere Handlung des Romans vorweggenommen.
**4) ** **Empfehlung**
Ich
kann auf jeden Fall empfehlen, das Buch zu lesen. Der Autor hat sich in
bisher unerreichtem Maß bemüht, die historische Berichterstattung in
einen Roman zu verpacken, der absolut lebensnah und detailgetreu
aufgebaut ist. Zudem erfährt man nicht nur alles über den damals
hochbrisanten „Fall Guldensuppe“, sondern erhält vor allem
zeitgeschichtliche Einblicke in die Welt des 19. Jahrhunderts und der
Entwicklung des Zeitungswesens.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Rezension: Thilo Falk - Dark Clouds
Erschreckend realitätsnah Die Welt in naher Zukunft. Starkwetterereignisse treten überall in Deutschland überraschend auf und führen zu gro...
-
Erschreckend realitätsnah Die Welt in naher Zukunft. Starkwetterereignisse treten überall in Deutschland überraschend auf und führen zu gro...
-
Mexikanischer Killervirus 1) Inhalt Eigentlich war die Chemikerin Emma Caldridge ja im mexikanischen Dschungel unterwegs, um spezielle N...
-
Der Gesang der Sirenen Vanessa hatte immer schon Angst. Angst im Dunkeln, Höhenangst, seit kurzem sogar Angst davor, ins Wasser zu gehen....
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen