Samstag, 11. November 2017

Rezension: Paul Collins - Der Mord des Jahrhunderts

Wer ist die Leiche ohne Kopf?

**1)    ** **Inhalt**



Als der kopflose Oberkörper eines Toten aus Manhattans East River gezogen wird, sieht alles ganz danach aus, als handle es sich um einen makabren Scherz von Medizinstudenten – nichts Ungewöhnliches im Amerika des 19. Jahrhunderts! Kurz darauf jedoch taucht der Unterkörper auf – ebenso fachmännisch verpackt, für Medizinstudenten jedoch zu laienhaft abgetrennt. Die beunruhigende Erkenntnis: Mord! Doch wie soll ohne Kopf geklärt werden, um wen es sich bei dem Opfer handelt?



In einer Zeit, als die großen amerikanischen Zeitungen gerade im vollen Entwicklungsaufschwung sind, bietet sich eine solche Geschichte mehr als an, um sich einen Namen zu machen und sich in der Geschichte zu verewigen. Es beginnt also ein Wettlauf unter der New York World, der New York Tribune und des New York Journals um die beste Berichterstattung über den Fall. Ganz nebenbei sind es dadurch gerade die Zeitungen, die die Ermittlungen vorantreiben – um der besten Berichte willen schicken sie selbst „Ermittler“ aus, die Nachforschungen anstellen und das eine oder andere Puzzleteil auflösen können.



Unterdessen versucht die Polizei einerseits, die Leiche zu identifizieren – dieses Unterfangen stellt sich als sehr schwierig heraus, da unterschiedlichste Menschen die Teile unterschiedlichsten Personen zuordnen. Auf der anderen Seite wird fieberhaft nach dem Kopf gesucht, der an einer Identifizierung letztlich keine Zweifel mehr lassen würde. Gleiches machen die Zeitungen und finden so heraus, dass es sich bei dem Opfer höchstwahrscheinlich um William Guldensuppe, einem Masseur handelt.



Schnell sind dessen Lebensumstände geklärt und zwei Verdächtige festgenommen: Mrs. Nack, seine Geliebte, und Martin Thorne, der derzeitige Geliebte von Mrs. Nack. Doch wieder verlaufen die Ermittlungen im Sand: Guldensuppe sei von verschiedenen Personen bis hin nach Europa lebend gesehen worden! Zudem streiten beide Festgenommene ab, dass es einen Mord gegeben hat. Lebt Guldensuppe also noch? Wer liegt dann zerteilt im Leichenschauhaus?



**2)    ** **Analyse**



Besonders faszinierend an dem Roman ist die Tatsache, dass es sich um eine reale Geschichte handelt – tatsächlich ist der „Fall Guldensuppe“ im New York des 19. Jahrhunderts wochen- und monatelang in den Zeitungen präsent gewesen und die Ermittlungen haben sich genauso abgespielt, wie sie in Paul Collins Roman dargestellt werden. Dabei ist das Werk nicht nur gut recherchiert, sondern grundlegend auf den Quellen – historischen Zeitungen – aufgebaut. Am Ende des Buches fügt Collins in über 50 Seiten akribisch an, woher er sämtliche seiner Informationen bezogen hat.



Gerade dieser Umstand ist es, der das Buch überaus lebensnah macht und es den LeserInnen ermöglicht, sich tatsächlich in die Begebenheiten der Zeit hineinzuversetzen. Die Zeit des wirtschaftlichen und technischen Aufschwungs wird besonders anschaulich geschildert, wenn am Ende des Werks festgestellt wird, dass sich die Stadt New York gerade in den letzten Jahren um vieles weiterentwickelt hat – während noch vor ein paar Jahren Pferdekutschen das Straßenbild prägten, sind es nun Automobile, die sich ihren Weg durch den Verkehr bahnen.



Spannend ist zudem die Schilderung der Entwicklung der großen Zeitungen. Durch Collins’ umfangreiche Einarbeitung in das Thema werden Einblicke in die Berichterstattung der Zeit und die Modernisierung der Druckeranlagen geboten, durch die man ein gutes Bild von der Medienwelt des 19. Jahrhunderts erhält und sozusagen live mitverfolgen kann, wie aus kleinen und unbedeutenden Zeitungen Institute mit gewaltiger Macht geworden sind.



**3)    ** **Kritik**



Spannung wird weniger dadurch aufgebaut, dass man wissen möchte, wer der Mörder ist – Mrs. Nack und Martin Thorne werden schon im ersten Drittel des Romans verhaftet. Interessant ist hingegen einerseits die Schilderung des sich verändernden Zeitungswesens, andererseits bis zuletzt die Frage, ob es sich bei dem Mordopfer überhaupt tatsächlich um William Guldensuppe handelt. Aufmerksamkeit bei LeserInnen wird also die ganze Zeit über durch den fehlenden Kopf der Leiche erreicht, was weniger eine sprachliche, als eine quellendarstellungsgemäße Leistung ist.



Das Cover ist außerordentlich ansehnlich gestaltet, allerdings sollte man erst nach der Lektüre des Buchs einen genaueren Blick darauf werfen – durch die Gestaltung mit originalen Zeitungsausschnitten der zeitgeschichtlichen Berichterstattung werden ansonsten einige Informationen über die weitere Handlung des Romans vorweggenommen.



**4)    ** **Empfehlung**



Ich kann auf jeden Fall empfehlen, das Buch zu lesen. Der Autor hat sich in bisher unerreichtem Maß bemüht, die historische Berichterstattung in einen Roman zu verpacken, der absolut lebensnah und detailgetreu aufgebaut ist. Zudem erfährt man nicht nur alles über den damals hochbrisanten „Fall Guldensuppe“, sondern erhält vor allem zeitgeschichtliche Einblicke in die Welt des 19. Jahrhunderts und der Entwicklung des Zeitungswesens.

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