Samstag, 11. November 2017

Rezension: Ransom Riggs - Die Insel der besonderen Kinder

Wahrnehmung ist subjektiv

 **1)       ** **Inhalt**

** **

Abraham Portman, der Großvater von Jacob, wird auf bestialische Art und Weise in einem Waldstück hinter seinem Haus ermordet. Zu allem Überdruss findet ihn sein eigener Enkel sterbend, der daraufhin einen Schock davonträgt. Außerdem geht irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu: Jacob sieht eine eigenartige, grauenhafte Gestalt im Wald verschwinden. Eines der Monster, von dem sein Großvater stets erzählt hat?



Abe Portman berichtet seinem Enkel seit dessen Kindesbeinen von einer Insel, auf der besondere Kinder leben sollen. Was Jacob anfangs als Märchen abtut – Geschichten von fliegenden, unsichtbaren, unglaublich starken oder anders begabten Kindern – entpuppt sich mehr und mehr als gar nicht so erfunden, wie er gedacht hat. Zwar wird ihm während einer psychologischen Behandlung von Dr. Golan eingetrichtert, dass er sich das Monster im Wald nur eingebildet hat, dennoch geht Jacob der Sache nach.

Gemeinsam mit seinem Vater besucht der Junge in den folgenden Ferien eine Insel, auf der das Kinderhaus von damals steht. Obwohl es sich um ein verfallenes Gebäude handelt, fühlt sich Jacob unerklärlich angezogen von der Ruine und findet sogar alte Fotos – solche, die ihm auch sein Großvater immer wieder als Beweis für seine Geschichten vorgelegt hat. Und tatsächlich begegnen ihm plötzlich Kinder in der längst nicht mehr bewohnten Stätte. Als er einem Mädchen daraufhin durch das Moor folgt, landet er bei einer Steinformation, durch die man hindurchkriechen kann – und da ergibt endlich alles einen Sinn. Jacob landet tatsächlich auf der Insel der besonderen Kinder, nur leben diese nicht im Heute, sondern im Jahr 1940 – in einer Zeitschleife, die von der Kinderheimleiterin Miss Peregrine angelegt worden ist.



Was Jacob zuerst nicht glauben kann, wird mehr und mehr zur Realität. Die Kinder, von denen sein Großvater erzählt hat, gibt es wirklich. Sie leben hier und verstecken sich in einer Zeitschleife von den Monstern, die Jacobs Opa ebenfalls immer beschrieben hat. Von der Leiterin erfährt der Junge, was hier eigentlich los ist: dass es zwei verschiedene Entwicklungslinien der Menschen gibt und dass eine davon mit diesen besonderen Fähigkeiten ausgestattet ist. Da es allerdings böse Wesen gibt, die den Tod der Besonderen anstreben, ist es notwendig, sich geschickt zu verstecken. Auch Jacob gehört zu den besonderen Kindern – als der einzige dieser Gruppe kann er die Monster sehen, während alle anderen nur den Schatten wahrnehmen können.

Unglücklicherweise stellt sich heraus, dass Jacob unwissentlich dafür gesorgt hat, dass die Zeitschleife seines Großvaters an die Monster verraten wird. Schon seit geraumer Zeit ist der Junge von einem Begleiter dieser Monster verfolgt worden – er kennt ihn als Psychologen Dr. Golan, allerdings auch als Busfahrer aus seiner Schulzeit und als Nachbar seines Großvaters. Dr. Golan hatte all dies schon lange geplant und Jacob beobachtet, um eines Tages an das Versteck der besonderen Kinder heranzukommen. Mit Jacobs Hilfe gelingt ihm das nun auch.

Die Kinder jedoch wehren sich. Zwar wird Miss Peregrine entführt, kann jedoch befreit werden. Unglücklicherweise ist sie nicht die einzige, die in die Hände der Monster gerät – auch andere Leiterinnen von Zeitschleifen werden gefangen genommen, ihr Schicksal ist ungewiss. Aus diesem Grund entscheiden die besonderen Kinder, dass es an der Zeit ist, ihr sicheres Versteck zu verlassen – sie beenden den 3. September 1940 und gehen hinaus in die Welt. Jacob lässt sein bisheriges Leben im 21. Jahrhundert hinter sich, um sich seinem Volk anzuschließen.



**2)       ** **Sprache / Stil**

** **

Die direkte Rede beherrscht das Buch von Anfang bis zum Ende. Zu Beginn des Werks sind es die Geschichten, die der Großvater seinem Enkel erzählt, am Ende ist es die Geschichte selbst, die in direkter Rede von den ProtagonistInnen erzählt wird. Dadurch gelingt es dem Autor auf eine ganz besondere Art und Weise, ein stilistisches Meisterwerk zu schaffen. Es ist nicht notwendig, viel durch Details des Erzähler-Ichs zu erklären, alle notwendigen Fakten werden von den Hauptpersonen selbst erzählt. So ist es auch Miss Peregrine, die Jacob und den LeserInnen erklärt, was hier eigentlich vorgeht. Was Jacob nicht weiß, können auch die LeserInnen nicht wissen.

Interessant ist außerdem, dass die Kinder eigentlich nach wie vor im Jahr 1940 leben, während Jacob aus einer weit entfernten Zukunft zu ihnen kommt. Obwohl das Leben hier für ihn außergewöhnlich und neu ist, sind es seine Erzählungen für die Kinder. Begierig saugen sie alles auf, was er ihnen von der fabelhaften Zukunft, die für ihn ganz und gar nicht so magisch ist, erzählen kann. Darunter fällt vor allem die Technik, von der die Kinder ihre ganz eigenen futuristischen Vorstellungen haben. Umso begeisterter sind sie, als Jacob ihnen sein Handy zeigt und außerdem erklärt, wie seine Welt funktioniert. Der Autor hat es geschafft, all das sprachlich in direkte Reden zu verpacken und die Diskrepanz zwischen beiden Lebensformen auf diese Art und Weise deutlich zu machen.



**3)       ** **Kritik**



Dem Roman gelingt es geschickt, die LeserInnen zuerst völlig in die Irre zu führen: Mehr und mehr geht man mit der Meinung des Psychologen Dr. Golan konform, der Jacob einreden will, dass sich alles nur um eine psychotische Einbildung handelt. Auch die Erklärung des Vaters, Großvater Abrahams Monster seien in Wirklichkeit schlichtweg die Nazis, erscheint plausibel. Umso mehr erstaunt es schließlich, dass es sich ganz und gar nicht um eine Sinnestäuschung handelt. Tatsächlich gibt es diese Insel und die Monster. Der Fantasy-Part lässt sich also überraschender Weise doch noch genießen.



Besonders interessant ist die Tatsache, dass der Roman durchgehend von Bildern unterlegt wird. Darauf sind die Bewohner der Insel, jedoch auch andere Personen in Form von Fotographien zu sehen, die für die Handlung der Geschichte eine bedeutsame Rolle spielen und immer wieder auch in den Text eingebunden werden. Das alles macht die Erzählung zu einer weit spannenderen Geschichte, als es andere Vertreter des Fantasy-Genres sein können.



Eigenartig erscheint allerdings die Tatsache, dass es zwischen Jacob und dem Mädchen Emma, das in der Zeitschleife lebt, zu einer romantischen Verbindung kommt, nachdem bereits darauf hingewiesen worden ist, dass hier ein Altersunterschied von vielen Jahrzehnten besteht. Außerdem hatte Emma bereits mit Jacobs Großvater eine Beziehung, sodass Jacob zu Recht selbst behauptet, sie gäbe sich nur aufgrund mangelnder Alternativen mit ihm ab. Erklärt wird diese Tatsache dadurch, dass die Kinder der Zeitschleife zwar de facto alte Seelen seien, aufgrund ihres Lebenswandels in eben dieser Schleife aber auch im Geiste gewissermaßen Kinder bleiben.



Andere durchaus reale Fragen von temporalen Anomalien und damit einhergehenden Paradoxa sollen hier nicht näher behandelt werden. Es handelt sich um einen Fantasy-Roman, der aufgrund des Genres das Recht dazu hat, gewisse physikalische Gesetzmäßigkeiten nach eigener Nützlichkeit für sich auszulegen und umzuändern.



**4)       ** **Empfehlung**

** **

Das Buch hört leider mitten in der Handlung auf – der Sieg des Guten über die bösen Monster hat noch nicht stattgefunden, und auch andere Punkte der Handlung sind noch nicht restlos aufgeklärt worden. Diese Tatsache jedoch macht es plausibel, dass es sich um einen Zwei- oder Mehrteiler handelt. Man darf also gespannt sein, was der nächste Band der Geschichte bringen wird.

Die Handlung ist von Anfang bis Ende so spannend, dass die Fortsetzungsgeschichte von den LeserInnen des ersten Teils geradezu mit Spannung erwartet werden muss – da die Handlung noch kein Ende gefunden hat, ist es ein Muss, den nächsten Teil zu lesen. Vor allem für Personen, die Fantasy mögen, ist der Roman zudem besonders geeignet, und diese Einschätzung wird durch die oben genannten Fotographien nur noch untermauert. Man darf auf jeden Fall gespannt sein, was die Zukunft bereithält – für die LeserInnen UND für die besonderen Kinder.

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